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Kein Platz für unproduktive Sentimentalitäten.

Zum plötzlichen Tod des Investigativ-Journalisten Helmut Reister (1953 – 2022).

Fast zwei Wochen ist es her, seit Familie, Kollegen und Freunde vom plötzlichen Ableben Helmut Reisters erfuhren. Dass ich so lange brauche, meinen Abschied von ihm zu formulieren, hätte er mir zu Lebzeiten nie durchgehen lassen. Reister war ein Journalist der alten Schule. Was ich mir darunter vorstelle? Er war schnell, arbeitete selbst und erwartete von anderen Handeln auf Zack-Zack, von Fall zu Fall konnte er jedoch auch sehr geduldig sein. Er war präzise und nachbohrend, beobachtend und diskret, termingenau und verbindlich, aber stets unerbittlich, wenn er Unrecht witterte. Die rund sechs Jahre, in denen er für die München-Seite der Jüdischen Allgemeinen verantwortlich zeichnete, wurden für mich zu einer geschenkten Lehrzeit bei einem Profi, der sich jedoch nie als Lehrmeister gerierte. Das wäre mit seiner persönlichen Bescheidenheit, die sich hinter Alltagsruppigkeit und bodenständigem fränkischen Humor verbarg, auch gar nicht vereinbar gewesen.

»Hab ich Sie geweckt?«, fragte Reister, wenn er um 12 Uhr im Büro anrief. »Wie viele Meldungen werden es diese Woche? – Noch nicht beisammen? Dann wird’s aber Zeit.« So oder so ähnlich begannen unsere Telefonate. Und dann hatte ich schnell zu liefern. Möglichst entsprechend der vereinbarten Zeichenzahl. Das zwang zu genauem Formulieren. Warfen unerwartete Ereignisse in letzter Minute den Seitenumbruch über den Haufen, behielt er die Ruhe. Andererseits plante er Themen vor, inklusive der Bebilderung, um eben aus einem Vorrat schöpfen zu können. Das war schon deshalb nötig, weil große Geschichten, das Hauptarbeitsgebiet dieses investigativen Journalisten für überregionale Medien wie Spiegel und Stern, viel Arbeit für ihn bedeuteten. Ob es um die unberechtigte Einweisung Gustl Mollaths in die Psychiatrie ging, oder das Ende einer Wallfahrtsstätte auf der Fraueninsel für einen hingerichteten Hauptangeklagten im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess oder – wie zuletzt in der Münchner Abendzeitung vom 29. Dezember 2021 – um »Dubiose Masken-Deals in Bayern«.

Ich vermisse seine drängenden Anrufe (»Wo steckt se denn?«), die mein Büro und mich auf Trab hielten. Und das wird so bleiben. Oder: das wird fehlen. Welche Formulierung die treffende wäre, Reister hätte es gewusst. Ob seine Katze »Rollmops« die Lücke ebenfalls spürt? Jetzt bloß nicht sentimental werden, da hätte Helmut Reister lachend, aber entschieden abgewunken.

Ellen Presser

Foto: bayernpress newsfoto GmbH