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58 Jahre unbekannte Familiengeschichte

Christina Schnabelmaier (*1960)

Dann plötzlich erzählt meine Nichte, mein Vater und meine jüdische Großmutter wären in den Jahren des Dritten Reichs der Verfolgung durch die Nazischergen ausgesetzt und kurz vor Kriegsende im Konzentrationslager Theresienstadt gewesen.

Dabei hieß es doch immer, sie seien noch vor der Reichskristallnacht in die Schweiz geflohen und hätten dort diese finstere Zeit sicher überstanden.   – – – – – – –   Ein Familiengeheimnis platzt.

Also beginne ich mit Hilfe eines versierten pensionierten Journalisten zu forschen und lese selbst die noch vorhandenen „Entschädigungsakten“ aus der Nachkriegszeit.
Das Ergebnis ist einerseits erschreckend.
Die Verfolgung meiner gesamten Familie väterlicherseits dauerte Jahre und wurde mit der Reichskristallnacht 1938 lebensbedrohlich.

Meine Großmutter konnte dank der Hilfe vieler mutiger Mitmenschen an wechselnden Orten Verstecke finden. Aber sie musste dies allein ertragen. Ihr nicht-jüdischer Ehemann wollte sich nicht „von der Jüdin“ scheiden lassen und der Staat nahm ihm wegen dieser „jüdischen Versippung“ seine Approbation als Arzt, seine Praxis und sein Zuhause und wollte ihn zur Organisation Todt schicken. Mit schwerem Herzleiden nach Jahren der Hetze, der Schikane und Bedrohung wurde er zum Glück in München in einem Krankenhaus aufgenommen, wo er bis zum Kriegsende sicher vor weiterer Verfolgung war.

Mein Vater kam zunächst alleine, ohne Eltern, bei Bekannten unter. Als „Halbjude“ durfte er nicht mehr am Schulunterricht teilnehmen. Als die Nazis meine Großmutter trotz langem Suchen nicht finden konnten, konzentrierten sie sich auf den Sohn, der nun mit 13 Jahren in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurde. Zum Glück erst kurz vor der Befreiung des Lagers. Die Familie kam 1945 seelisch und körperlich sehr krank wieder am Heimatort zusammen. Die Jahre der Verfolgung haben meinen Vater mit Sicherheit für immer geprägt wie die Narbe, die nach der entfernten Tätowierung blieb.

Andererseits ist diese Geschichte auch eine „Erleuchtung“ für mich. Sie erklärt mir mein ganz eigenes kompliziertes Lebensgefühl – nicht nur epigenetisch betrachtet.

Mein Bild erzählt vom Eingesperrt-Sein, von der Bedrohung, vom Gehetzt- und Gejagt-Sein.
Es entstand im vergangenen Jahr, als ich intensiv mit der Aufarbeitung meiner geheimnisvollen Familiengeschichte beschäftigt war.

Ein Magen David ist hinter den Mauern rechts unten noch schwach zu erkennen.
Doch da gibt es auch einen zweiten Davidstern, etwas ramponiert, aber frei schwebend links oben im Bild. Voller Hoffnung einerseits und dennoch weiterhin nahe dran an der (historischen) Katastrophe.

Israel ist das Land meiner Sehnsucht. Dort habe ich mich auf den wenigen bisherigen Reisen immer irgendwie zuhause gefühlt. Dabei ist mir die instabile Situation des jüdischen Volkes in diesem faszinierenden Land mit jedem zurückgelegten Kilometer meiner Reise stets bewusst.

Das Bild symbolisiert also nicht nur meine Familiengeschichte, sondern auch meine gegenwärtige Sicht auf Israel. Ich hoffe sehr, bald das Land meiner Wurzeln wieder besuchen zu dürfen.

Christina Schnabelmaier